Donnerstag, März 28, 2024

Frühmittelalter (500–1180) – Epoche der Literatur

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Epoche: Frühmittelalter

Der Begriff Mittelalter ging aus der nachfolgenden Epoche, der Renaissance, hervor. Die Humanisten wählten den Begriff für die Zeit zwischen Antike und der Neuzeit.

Weltbild des Frühmittelaters

Das mittelalterliche Weltbild ist tief von Kirche und Bibel geprägt. Gott ist der Erschaffer der Welt, der Natur und des Menschen und lenkt diese. Die Vertreibung aus dem Paradies wird als Beginn der Geschichte angesehen, die europäischen Königs- und Kaiserreiche – unter Einfluss der Kirche – als Vorläufer des Gottesreichs auf der Erde, nach dem Jüngsten Gericht. Der einzelne Mensch ist Bestandteil dieser Ordnung, er fühlt sich als Teil der Gesellschaft, nicht als Individuum.

Historischer Hintergrund

Die einsetzende Völkerwanderung und der Zerfall des Römischen Reiches markieren den Beginn des Mittelalters und damit gleichzeitig das Ende der Antike. Die Herrschaftsgewalt zersplitterte sich zunächst in grundherrschaftliche, später in lehensrechtliche Beziehungen bis hin zur Entstehung des Königreiches. Die Macht wurde dabei nicht nur von den Adligen, meistens Lehnsherren, ausgeübt, sondern auch von der Kirche, die eine eigene Machtposition vertrat.

Durch Salbung des Königs war dieser auch kirchlich legitimiert. Im Frühmittelalter war die Kirche der Kulturträger der Gesellschaft, denn meist wusste nur der Klerus über das Lesen und Schreiben Bescheid. Die Gesellschaft war geteilt in die Stände Klerus, Adel und Bauern. Sie richtete sich auf agrarwirtschaftliche und naturalwirtschaftliche Produktion aus.

Das Frühmittelalter wurde von drei bedeutenden Adelsgeschlechtern geprägt: den Karolingern, den Ottonen und den Saliern. Das fränkische Hochadelsgeschlecht beherrschte von 750-900 Westeuropa. Sein bedeutendster Vertreter war Karl der Große (768-814), der im Jahre 800 zum ersten Kaiser vom Papst gekrönt wurde. Nach dessen Tode zerfiel das Karolingerreich. Die östlichen Gebiete, dem späteren Heiligen Römischen Reich, wurden von den Ottonen (900-1024) übernommen.

Das Ottonengeschlecht erlosch, als des nach dem Tode Heinrich II. keine männlichen Nachfolger mehr gab. Die Königswürde wurde auf Konrad II., einem Salier, übertragen. Das fränkische Adelsgeschlecht der Salier regierte von 1024-1125. Nach dem Tod des kinderlosen letzten salischen Königs ging dessen Besitztümer an die Staufer über.

Die frühmittelalterliche Dichtung

     Germanische Literaturzeugnisse

Die Germanen brachten bei ihrer Völkerwanderung eine eigene Literatur mit. Es entstanden in verschiedenen Gegenden unterschiedliche Sagenkreise. Überlieferungen aus der Germanischen Literatur sind das Hildebrandslied und die Merseburger Zaubersprüche.

Die Merseburger Zaubersprüche wurden erst im 10. Jahrhundert aufgezeichnet, entstanden wahrscheinlich aber noch vor 750. Der erste Spruch dient der Befreiung eines Gefangenen, der zweite Spruch zur Heilung eines verrenkten Pferdefußes. Das Hildebrandslied ist das einzige germanische Heldenlied in althochdeutscher Sprache. Das Hildebrandslied wurde um 830 von zwei Mönchen des Fuldaer Klosters auf die inneren Deckblätter eines Gebetbuches geschrieben. Entstanden ist es um 770/780.

Die 68 erhaltenen stabenden Langzeilen berichten vom Vater-Sohn-Kampf zwischen Hildebrand und Hadubrand, die Handlung bricht aber mitten im Kampf ab. Aus altnordischen Dichtungen geht hervor, dass Hildebrand seinen Sohn erschlägt.

Merseburger Zaubersprüche: Zweiter Spruch

Phol ende uuodon uuorun zi holza.
du uuart demo balderes uolon sin uuoz birenkit.
thu biguol en sinthgunt, sunna era suister,
thu biguol en friia, uolla era suister,
thu biguol en uuodan, so he uuola conda:
sose benrenki, sose bluotrenki,
sose lidirenki:
ben zi bena, bluot zi bluoda,
lid zi geliden, sose gelimida sin.

Übersetzung

Phol und Wodan ritten zu Walde.
Da ward dem Fohlen Balders sein Fuss verrenkt.
Da besprachen ihn Sinthgund und Sunna, ihre Schwester,
da besprachen ihn Frija und Volla, ihre Schwester,
da besprach ihn Wodan, wie er’s wohl verstand:
So Beinverrenkung, so Blutverrenkung,
so Gliedverrenkung: Bein zu Beine, Blut zu Blute,
Glied zu Glieden, als wenn sie geleimet wären.

     Althochdeutsche Literatur (760-1060)

Unter Karl dem Großen (768-814) wurden die Germanen christianisiert und die Geistlichen betrachteten es als ihre Aufgabe, den „Bekehrten“ die christliche Literatur nahezubringen. Die Lese- und Schreibkunst blieb lediglich den Mönchen vorbehalten. Die althochdeutsche Literatur vereint zwei Traditionsstränge: germanisch-heidnische Elemente und christlich-antike Elemente. Um 760/765 verfasste der Bischof Arbeo von Freising ein lateinisch-deutsches Wörterbuch, das nach seinem ersten Eintrag benannt wurde: Abrogans. Dieses Werk ist das erste erhaltene Zeugnis der deutschen Sprache.

Heidnische Zaubersprüche wurden von den Christen als Segenssprüche übernommen. Die heidnischen Götter wurden dabei ausgelassen und für sie wurde Gott eingesetzt.
Für die deutsche Literaturgeschichte ist die um 865 entstandene Evangelienharmonie von Otfrid von Weißenburg von großer Bedeutung.

Otfrid führte als erster Dichter den Endreim in die deutschsprachige Literatur ein. Seine Evangelienharmonie, die das Leben Jesu von der Geburt bis zur Auffahrt in den Himmel schildert, ist in vier Handschriften überliefert.

     Frühmittelhochdeutsche Literatur (1060-1120)

Die Paraphrase des Hohen Liedes (um 1060) von Williram von Ebersberg markiert den Beginn der mittelhochdeutschen Dichtung. Darin deutete Williram das Verhältnis Braut – Bräutigam auf das Verhältnis Kirche – Gott um.

Das über den Kölner Erzbisch Anno verfasste Annolied (ca. 1080) ist das erste biographische Werk der deutschen Sprache. Im Annolied wird Anno als Heiliger dargestellt, der gegen die zerstörerischen Folgen weltlicher Taten im Sinne der weltverneinenden Haltung der kluniazensischen Reform wirkt. Das Werk beginnt aber mit einer Abhandlung der Menschheitsgeschichte bis hin zum Römischen Reich. Außerdem enthält es einen Hinweis auf die Krimgoten.

     Vorhöfische Literatur (1120-1180)

Zwischen 1120 und 1140 entstand das Alexanderlied des Pfaffen Lamprecht. Es ist das erste Werk in der deutschen Literaturgeschichte, das nicht auf eine lateinische Quelle, sondern eine volksprachliche (altfranzösische) Quelle zurückgeht: ein Gedicht von Alberich von Besancon. Zudem ist es das erste weltliche Epos in deutscher Sprache. Das Alexanderlied berichtet über das Leben Alexanders des Großen.

Zu den profanen Werken profaner Autoren zählen die anonym verfassten, sogenannten Spielmannsepen König Rother (ca. 1150), Salman und Morolf (ca. 1160), Sanct Oswald (ca. 1170), Herzog Ernst (ca. 1180) und Orendel (ca. 1180). Diese waren bisher nur mündlich überliefert und wurden nun von den Autoren am Schreibpult buchmäßig gestaltet.

Eine der bekanntesten Vertreterinnen der Mystik war Hildegard von Bingen (1098-1179) mit ihrem Werk Liber Scivias (Wisse die Wege, 1141/53), welches den Beginn der deutschsprachigen Mystik markiert.

Literarische Formen im Frühmittelalter

  • Zaubersprüche
  • Segen
  • Rätsel
  • Gelöbnisse
  • Heldensagen
  • Fürstenpreis/Fürstenlob
  • Gebete
  • Evangelienharmonien
  • Memento mori
  • Spielmannsepen

Evangelienharmonie:
Verschmelzung der vier Evangelien zu einer fortlaufenden Handlung, in der das Leben Jesu geschildert wird.

Vertreter des Frühmittelalters

  • Arbeo von Freising
  • Otfrid von Weißenburg (ca. 800 – ca. 870)
  • Notker III./ der Deutsche/ Labeo von St. Gallen (ca. 950-1022)
  • Williram von Ebersberg
  • Ezzo von Bamberg
  • Noker von Zwiefalten
  • Pfaffe Lamprecht
  • Pfaffe Konrad
  • Heinrich von Melk
  • Archipoeta
  • Hildegard von Bingen

Werke des Frühmittelalters

  • Merseburger Zaubersprüche (8. Jh.) – anonym
  • Hildebrandslied (ca. 830) – anonym
  • Abrogans (760/765) – Arbeo von Freising
  • Wiener Hundesegen – anonym
  • Ludwigslied (881) – anonym
  • Wessobrunner Gedicht und Gebet (ca. 770) – anonym
  • Muspilli (9. Jh.) – anonym
  • Petruslied (ca. 880) – anonym
  • Übersetzung der Evangelienharmonie Tatians (ca. 830) – anonym
  • Heliand (ca. 830) – anonym
  • Evangelienharmonie (ca. 865) – Ofrid von Weißenburg
  • Paraphrase des Hohen Liedes (ca. 1060) – Williram von Ebersberg
  • Ezzolied (ca. 1065) – Ezzo
  • Memento mori (ca. 1070) – Noker von Zwiefalten
  • Annolied (ca. 1080) – anonym
  • Alexanderlied (ca. 1120/40) – Pfaffe Lamprecht
  • Kaiserchronik (ca.1135/55) – anonym
  • Rolandslied (ca. 1170) – Pfaffe Konrad
  • Von des tôdes gehugde (Mitte-Ende 12. Jh.) – Heinrich von Melk
  • König Rother (ca. 1150) – anonym
  • Salman und Morolf (ca. 1160) – anonym
  • Sanct Oswald (ca. 1170) – anonym
  • Herzog Ernst (ca. 1180) – anonym
  • Orendel (ca. 1180) – anonym
  • Liber Scivias (1141/53) – Hildegard von Bingen

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