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Autor: Barthold Heinrich Brockes
Werk: Der verstockte Chrysander
Als Gottlieb jüngst ins frische Gras sich setzte,
An einem reinen Bach, und sahe, wie die Fluth,
Bestrahlet durch der Sonnen Gluht,
Durch Schilf und Blumen lieblich rann;
Bezeugt‘ er, wie ihn dieß recht inniglich ergetzte,
Und priese seine Lust Chrysandern an,
Der wegen einiger Processen
Ihn zu besuchen kommen war.
Wer kann die Herrlichkeit, sprach er, genug ermessen,
Die die Natur so wunderbar
An allen Orten uns vor Augen leget?
Mein Auge siehet sich nicht satt, wenn es erweget
Den dick-belaubten Wald, den bunt-beblühmten Klee,
Die helle Reinigkeit der glänzenden Kristallen,
Woran den ganzen Tag ich mich nicht müde seh‘.
Das würde mir unmöglich fallen,
Fiel ihm Chrysander ein. Was seh‘ ich mir daran?
Die Au‘ ist bunt, der Wald ist grün, der Bach ist klar.
Recht schön ist alles, das ist wahr:
Weil ich dieß aber schnell beschauen kann;
Warum soll ich die Zeit, worin ich was verdienen
Und Geld erwerben mag, hier, wie ein Frosch im Grünen,
Im faulen Müßiggang, verderben?
Sollt‘ ich nichts anders thun, ich wollte lieber sterben,
Als hier so müßig seyn.
Dem Gottlieb kamen zwar die Thränen in die Augen;
Allein er sagte nichts. Ihm war bewußt,
Daß nichts, als Geiz, Chrysanders Brust
Mit gelber Sucht erfüllt, daß folglich alle Lehren,
Ihn aus dem Labyrinth auf rechten Weg zu kehren,
Nur ganz vergeblich sind, und nichts zu wircken taugen:
Weswegen er von andern Dingen sprach,
Ihm einig‘ Höflichkeit erwieß‘,
Und, ohn‘ ihn gar zu sehr
Zu nöthigen, ihn von sich ließ.
Kaum war er fort, so dachte Gottlieb nach,
Was doch die Ursache sei, daß aller Farben Schein,
Daß aller Bildung Pracht, der Menschen Herz nicht rühret;
Daß keiner fast daran was recht behagliches spüret;
Daß sie fast jedermann
Vor Augen zwar, doch nicht im Herzen, liegen,
Da jeder sich so schnell daran,
Mit einem Blick, vergnügen,
Und so geschwind sätt’gen kann;
Daß keiner sie mit Lust betrachtet,
Daß keiner sie des Anblicks würdig achtet,
Muß gleich ein jeder, daß sie schön,
Beym ersten Anblick schon, gestehn.
Bis daß er sich zuletzt auf folgendes besann:
Die Ehrgier, Geld-Sucht, Fleisches-Lust,
Die uns, im Geistlichen, zu Gott den Zugang wehren,
Verriegeln, leider! auch der Menschen Brust,
Daß wir von Gottes Werk nichts sehen und nichts hören.
Ein altes Sprich-wort sagt: Kein Auge sieht,
Wenn das Gemüth
Beschäftigt ist mit andern Dingen.
Mehr als zu wahr. Da wir von Jugend an
Die Seel‘ auf Wollust, Ehr‘ und Geld zu dencken zwingen;
Wird, durch die leidige Gewohnheit, jedermann
Dadurch in solchen Stand gesetzt, daß wir,
in aller Kreatur Glantz, Ordnung, Pracht und Zier,
Für Gottes Wunder taub, für Gottes Wercke blind,
Geschmack-, Geruch- und Fühl-los sind:
Einfolglich ist sein Werck für uns vergebens.
Ob aber dieses nun der Endzweck unsers Lebens,
Das Ziel der Seelen ist, und ob man nicht der Spur
Von Gottes Gegenwart in seiner Kreatur,
Wenn man sich ihrer freut, entdecket:
Hingegen, ob man sie, wenn man sie nicht betrachtet,
Nicht gleichsam von sich stößt und sie verachtet?
Ist eine Frage, die mich schrecket.
Denn sollte Gott dich so an jenem Tage fragen,
Was meynst du? würd’st du wohl, ohn‘ Angst und Zittern,
sagen:
Mein Gott, ich hab‘ auf Erden,
Mit solcher Ämsigkeit, getrachtet, reich zu werden,
Daß ich vor Sorgen, Fleiß, Müh, Arbeit, Laufen, Rennen,
Unmöglich dein Geschöpf und Dich betrachten können.