Donnerstag, April 25, 2024

Der Branntweinsäufer und die Berliner Glocken – Heinrich von Kleist

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Autor: Heinrich von Kleist – bei Wikipedia
Werk:
Der Branntweinsäufer und die Berliner Glocken
Jahr: 1810

(Eine Anekdote)

Ein Soldat vom ehemaligen Regiment Lichnowsky, ein heilloser und unverbesserlicher Säufer, versprach nach unendlichen Schlägen, die er deshalb bekam, daß er seine Aufführung bessern und sich des Brannteweins enthalten wolle. Er hielt auch, in der Tat, Wort, während drei Tage: ward aber am vierten wieder besoffen in einem Rennstein gefunden, und, von einem Unteroffizier, in Arrest gebracht. Im Verhör befragte man ihn, warum er, seines Vorsatzes uneingedenk, sich von neuem dem Laster des Trunks ergeben habe? „Herr Hauptmann!“ antwortete er; „es ist nicht meine Schuld. Ich ging in Geschäften eines Kaufmanns, mit einer Kiste Färbholz, über den Lustgarten; da läuteten vom Dom herab die Glocken: ‚Pommeranzen! Pommeranzen! Pommeranzen!‘ Läut, Teufel, läut, sprach ich, und gedachte meines Vorsatzes und trank nichts. In der Königsstraße, wo ich die Kiste abgeben sollte, steh‘ ich einen Augenblick, um mich auszuruhen, vor dem Rathaus still: da bimmelt es vom Turm herab: ‚Kümmel! Kümmel! Kümmel! – Kümmel! Kümmel! Kümmel!‘ Ich sage, zum Turm: Bimmle du, daß die Wolken reißen – und gedenke, mein Seel‘, gedenke meines Vorsatzes, ob ich gleich durstig war, und trinke nichts. Drauf führt mich der Teufel, auf dem Rückweg, über den Spittelmarkt; und da ich eben vor einer Kneipe, wo mehr denn dreißig Gäste beisammen waren, stehe, geht es, vom Spittelturm herab: ‚Anisette! Anisette! Anisette!‘ Was kostet das Glas, frag‘ ich? Der Wirt spricht: Sechs Pfennige. Geb er her, sag‘ ich – und was weiter aus mir geworden ist, das weiß ich nicht.“

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