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Autor: Friedrich von Schiller
Werk: Die Begegnung
Jahr: 1798
Noch seh‘ ich sie – umringt von ihren Frauen,
Die herrlichste von allen, stand sie da.
Wie eine Sonne war sie anzuschauen;
Ich stand von fern und wagte mich nicht nah.
Es faßte mich mit wollustvollem Grauen,
Als ich den Glanz vor mir verbreitet sah;
Doch schnell, als hätten Flügel mich getragen,
Ergriff es mich, die Saiten anzuschlagen.
Was ich in jenem Augenblick empfunden
Und was ich sang, vergebens sinn‘ ich nach.
Ein neu Organ hatt‘ ich in mir gefunden,
Das meines Herzens heil’ge Regung sprach;
Die Seele war’s, die, Jahre lang gebunden,
Durch alle Fesseln jetzt auf einmal brach
Und Töne fand in ihren tiefsten Tiefen,
Die ungeahnt und göttlich in ihr schliefen.
Und als die Saiten lange schon geschwiegen,
Die Seele endlich mir zurücke kam,
Da sah ich in den engelgleichen Zügen
Die Liebe ringen mit der holden Scham,
Und alle Himmel glaubt‘ ich zu erfliegen,
Als ich das leise, süße Wort vernahm –
O droben nur in sel’ger Geister Chören
Werd‘ ich des Tones Wohllaut wieder hören!
„Das treue Herz, das trostlos sich verzehrt
Und still bescheiden, nie gewagt, zu sprechen –
Ich kenne den ihm selbst verborgnen Werth;
Am rohen Glück will ich das Edle rächen.
Dem Armen sey das schönste Loos beschert,
Nur Liebe darf der Liebe Blume brechen.
Das schönste Schatz gehört dem Herzen an,
Das ihn erwiedern und empfinden kann.“