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Autor: Johann Wolfgang von Goethe
Werk: Osterspaziergang
Jahr: 1779
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche | ||
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick; | ||
Im Tale grünet Hoffnungsglück; | ||
Der alte Winter, in seiner Schwäche, | ||
5 | Zog sich in rauhe Berge zurück. | |
Von dorther sendet er, fliehend, nur | ||
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises | ||
In Streifen über die grünende Flur; | ||
Aber die Sonne duldet kein Weißes: | ||
10 | Überall regt sich Bildung und Streben, | |
Alles will sie mit Farben beleben; | ||
Doch an Blumen fehlts im Revier, | ||
Sie nimmt geputzte Menschen dafür. | ||
Kehre dich um, von diesen Höhen | ||
15 | Nach der Stadt zurück zu sehen! | |
Aus dem hohlen finstern Tor | ||
Dringt ein buntes Gewimmel hervor. | ||
Jeder sonnt sich heute so gern. | ||
Sie feiern die Auferstehung des Herrn, | ||
20 | Denn sie sind selber auferstanden, | |
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, | ||
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden, | ||
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern, | ||
Aus der Straßen quetschender Enge, | ||
25 | Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht | |
Sind sie alle ans Licht gebracht. | ||
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge | ||
Durch die Gärten und Felder zerschlägt, | ||
Wie der Fluß in Breit und Länge | ||
30 | So manchen lustigen Nachen bewegt, | |
Und, bis zum Sinken überladen, | ||
Entfernt sich dieser letzte Kahn. | ||
Selbst von des Berges fernen Pfaden | ||
Blinken uns farbige Kleider an. | ||
35 | Ich höre schon des Dorfs Getümmel, | |
Hier ist des Volkes wahrer Himmel, | ||
Zufrieden jauchzet groß und klein: | ||
Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein! |
(Faust. Der Tragödie erster Teil. Vor dem Tor)
Mehr Infos zum Werk Osterspaziergang
https://de.wikipedia.org/wiki/Faust._Eine_Trag%C3%B6die.#Osterspaziergang