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Autor: Johann Wolfgang von Goethe
Werk: Die Metamorphose der Pflanzen
Erscheinungsjahr: 1799 (Sturm und Drang)
Gedichtform: Elegie
Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung | |
Dieses Blumengewühls über dem Garten umher; | |
Viele Namen hörest du an, und immer verdränget | |
Mit barbarischem Klang einer den andern im Ohr. | |
5 | Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern; |
Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz, | |
Auf ein heiliges Rätsel. O könnt ich dir, liebliche Freundin, | |
Überliefern sogleich glücklich das lösende Wort! – | |
Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze, | |
10 | Stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht. |
Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald ihn der Erde | |
Stille befruchtender Schoß hold in das Leben entläßt | |
Und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig bewegten, | |
Gleich den zartesten Bau keimender Blätter empfiehlt. | |
15 | Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendes Vorbild |
Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt, | |
Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos; | |
Trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt, | |
Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend, | |
20 | Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht. |
Aber einfach bleibt die Gestalt, der ersten Erscheinung, | |
Und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das Kind. | |
Gleich darauf ein folgender Trieb, sich erhebend, erneuere | |
Knoten auf Knoten getürmt, immer das erste Gebild. | |
25 | Zwar nicht immer das gleiche; denn mannigfaltig erzeugt sich, |
Ausgebildet, du siehsts, immer das folgende Blatt, | |
Ausgedehnter, gekerbter, getrennter in Spitzen und Teile, | |
Die verwachsen vorher ruhten im untern Organ. | |
Und so erreicht es zuerst die höchst bestimmte Vollendung, | |
30 | Die bei manchem Geschlecht dich zum Erstaunen bewegt. |
Viel gerippt und gezackt, auf mastig strotzender Fläche, | |
Scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich zu sein. | |
Doch hier hält die Natur, mit mächtigen Händen, die Bildung | |
An und lenket sie sanft in das Vollkommnere hin. | |
35 | Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße, |
Und gleich zeigt die Gestalt zärtere Wirkungen an. | |
Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke, | |
Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus. | |
Blattlos aber und schnell erhebt sich der zärtere Stengel, | |
40 | Und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an. |
Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne | |
Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin. | |
Um die Achse gedrängt, entscheidet der bergende Kelch sich, | |
Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt. | |
45 | Also prangt die Natur in hoher, voller Erscheinung, |
Und sie zeiget, gereiht, Glieder an Glieder gestuft. | |
Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Stengel die Blume | |
Über dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter bewegt. | |
Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens Verkündung. | |
50 | Ja, das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand; |
Und zusammen zieht es sich schnell; die zartesten Formen, | |
Zwiefach streben sie vor, sich zu vereinen bestimmt. | |
Traulich stehen sie nun, die holden Paare, beisammen, | |
Zahlreich ordnen sie sich um den geweihten Altar. | |
55 | Hymen schwebet herbei, und herrliche Düfte, gewaltig, |
Strömen süßen Geruch, alles belebend, umher. | |
Nun vereinzelt schwellen sogleich unzählige Keime, | |
Hold in den Mutterschoß schwellender Früchte gehüllt. | |
Und hier schließt die Natur den Ring der ewigen Kräfte; | |
60 | Doch ein neuer sogleich fasset den vorigen an, |
Daß die Kette sich fort durch alle Zeiten verlänge, | |
Und das Ganze belebt, so wie das Einzelne, sei. | |
Wende nun, o Geliebte, den Blick zum bunten Gewimmel, | |
Das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste bewegt. | |
65 | Jede Pflanze verkündet dir nun die ewgen Gesetze, |
Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir. | |
Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern, | |
Überall siehst du sie dann, auch in verändertem Zug. | |
Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile geschäftig, | |
70 | Bildsam ändre der Mensch selbst die bestimmte Gestalt. |
O, gedenke denn auch, wie aus dem Keim der Bekanntschaft | |
Nach und nach in uns holde Gewohnheit entsproß, | |
Freundschaft sich mit Macht aus unserm Innern enthüllte, | |
Und wie Amor zuletzt Blüten und Früchte gezeugt. | |
75 | Denke, wie mannigfach bald die, bald jene Gestalten, |
Still entfaltend, Natur unsern Gefühlen geliehn! | |
Freue dich auch des heutigen Tags! Die heilige Liebe | |
Strebt zu der höchsten Frucht gleicher Gesinnungen auf, | |
Gleicher Ansicht der Dinge, damit in harmonischem Anschaun | |
80 | Sich verbinde das Paar, finde die höhere Welt. |