Freitag, April 26, 2024

Fragmente einer Abhandlung über die Ode – Johann Gottfried von Herder

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Autor: Johann Gottfried von Herder
Werk:
Fragmente einer Abhandlung über die Ode
Jahr: 1765

Sieh auch: die Ode – Gedichtform

Vorläufiger Gesichtspunkt

Je mehr sich die Lehren der ganzen Weltweisheit, der Erfahrung und den subjektiven Begriffen des Seins nähern: desto gewisser werden sie zwar, aber auch desto unerklärlicher: und die Unzergliederlichkeit der aesthetischen Grundsätze scheint eben so zu wachsen, je mehr sie zur Empfindung des Schönen absteigen. Ja weil die Aesthetik überhaupt sehr nahe mit unserm Busen verwandt ist, da sie sich statt allgemeiner Vernunftgrundsätze mit den feinsten Erfahrungen der Empfindung beschäftigt: so ist ihr Knäuel auch schwerer zu entwickeln, als andre mehr angebaute metaphysische Begriffe. – Man versteht mich schon, daß ich unter Aesthetik die Metaphysik der schönen Künste verstehe, bei der die Baumgartensche Theorie der schönen Wissenschaften bloß einen unvollendeten Anhang ausmacht: daß ich das Feld voll Garben meine, von denen wir kaum wenige Erstlinge gesehen haben: ah spem gregis, gemellos – – Schriebe man nach ihren Grundsätzen nachher eine allgemeine aesthetische Poetik: so würde sich die vorige Abstufung der Zergliederung zeigen: wenn auch ihre Theorie der Aesthetik die Begriffe des Schönen zu zergliedern überließ, und der praktische Teil bloß die Gedichtarten allgemein ohne Exempel bestimmte. Desto mehr verwickeln sich die Gattungen der Gedichte, je mehr sie sich der Empfindung nähern. Woher kommts, daß das Heldengedicht sehr viele, das Drama noch eine Menge, und die Ode, die doch jener ihre Adern durchglüht, fast keine wahre hat? Woher daß die Nebensprößlinge der Ode keine große Beobachtungen erhielten, da ihr Stamm undurchsucht blieb? Wie? daß die Deutsche die wahre Arten der Dichtkunst so wenig, und die am wenigsten poetische mit dem größten Reichtum erklärt, und dem genielosesten Glücke ausgebildet haben! Kurz! aus der Ode wird sich vielleicht der ganze große Originalzug der Gedichtarten, ihre mancherlei und oft paradoxen Fortschritte entwickeln: das reichste und unerklärteste Problem! –
   Das erstgeborne Kind der Empfindung, der Ursprung der Dichtkunst, und der Keim ihres Lebens ist die Ode. Von welchen unentfalteten Geheimnissen und fruchtbaren Entwickelungen würde sie also ein schwangeres Samenkorn sein, wenn ein Kenner der Bewegungshebeln unseres Herzens, ein Genie, das die Dichtkunst in ihrem Jugendfeuer im männlichen Streit und Triumph bemerkt, sie zergliederte. Allein welche Schwierigkeiten! Der Ursprung der Dichtkunst gehört mit zum allerheiligsten Dunkel des Orients, in die orphischen und eleusinischen Geheimnisse, zu den Priesterschwüren der Druiden und Barden. Das Feinste der Empfindung ist völlig vielleicht individuell: wenigstens bei ihr unter den Nationen ungleichartig. Der Geist der Ode ist ein Feuer des Herrn, das Toten unfühlbar bleibt, Lebende aber bis auf den Nervensaft erschüttert: ein Strom, der alles Bewegbare in seinem Strudel fortreißt. Zergliederern verfliegt er so unsichtbar, wie der Archäus den Chymikern, denen Wasser und Staub in der Hand bleibt, da seine Diener, das Feuer und der Wind im Donner und Blitz zerfuhren. – – – Ursachen gnug, die hier vielleicht im Gegensatz mit den übrigen zusammengesetzteren, spätern und kälteren Gedichten, bloß abgerißne Erfahrungen verstatten. Ich setze mir bloß vor, einzelne Beobachtungen zu liefern, die einiges Falschgesagte zerstören, und wo sie sich nicht in negative Größen verlieren, die Null zu ihrer höchsten Summe haben.

Über die Metempsychosis der Ode in Ansehung der Empfindung

Wenn irgend eine Gedichtgattung ein Proteus unter den Nationen geworden ist: so hat die Ode nach der Empfindung, dem Gegenstande, und der Sprache, ihren Geist und Inhalt und Miene und Gang so verändert, daß vielleicht bloß der Zauberspiegel des Aesthetikers dasselbe Lebendige unter so verschiedenen Gestalten erkennet. Indessen gibt’s doch ein gewisses allgemeines Eins der Empfindung, des Ausdrucks und der Harmonie, das eine Parallele zwischen ihnen allen möglich macht. –
   Die Empfindung des Morgenländers ist, wie sein Klima, hitzig: langsam in der Rührung, stärker im Eindruck, gewaltiger und ewiger in der Wirkung. Man kann noch immer ihre Natur verteidigen, ohne ihnen die kühne Hitze zu rauben, die sich zum Enthusiasmus aufschwingt. Es ist wahr, daß die Ausleger oft durch Nebenbedeutungen der Wurzeln falschen Nachdruck hineinbringen, daß die Nachahmer immer kühner werden, um neu zu sein: aber es soll ja auch ihre Kühnheit nicht schlechterdings, sondern beziehungsweise auf uns sein: und da leuchtet ja an ihnen eine feurige Denkart, brennende Handlung, und ein gewisses Ganze der Ode hervor, das uns fast den Maßstab mit der unsrigen schwer macht. Ihr Enthusiasmus, jene einfältig hohe poetische Theopnevstie, ist fast der einzigwahre, da er immer bloß einer monarchischen Empfindung folgt, ohne wie die Hitze der Abendländer vom Eigensinn des Willkürs erpresset zu sein. Er raset trunken den Weg des Affekts wo ihm der unsere nicht nachtaumeln kann, wenn er auch sein Bewußtsein lächerlich verhehlte, weil doch stets sein Führer hervorblickt, die Regel der Metaphysik, auf den er schwach sich zu stützen gewohnt ist.
   Durch Umwege kamen die Griechen hinter den Vorhang der Morgenländer, und ihrer Schüler, der Ägypter: bald aber veränderten sie das entwandte Heilige, nach ihren Tempeln, Märkten, und Zuschauern. Ihr wollüstiges, mäßiges Klima kühlte ihre Oden meistens zu einzelnen sanften Empfindungen ab: und den rasenden Dithyramben mußte wenigstens schon der Vater Bacchus und ein heiliger Tanz anfeuern: ein fremdes Feuer, was den Ebräern nicht heilig war. Schade, daß Demosthen, unser Longin περί διδνραμβοποιών verloren gegangen: jetzt müssen wir aus einer vermutlichen Ähnlichkeit mit den lyrischen Stücken urteilen. Es sind aber diese letztere so verschieden, so sehr jede ihrem Dichter und Gegenstande angemessen: daß uns durch die Abstraktion vielleicht ein großes Nichts übrig bleibt, wenn wirs mit Stückwerken der Scholiasten vergleichen. Ihre trunkene Wut war ein bacchischer Parenthyrsus, der sich nach unserm kältern Geblüt eben so wenig fühlen läßt, als ein Geschöpf mit dem Begriff des Seins umhüllet, sich das Nichts denkt. In einigen heißern Gegenden wird die Trunkenheit, beinahe Raserei: und ein bacchischer Pantomimentanz würde uns Tänzern gewiß ein rasendes Gehüpf scheinen. Den allmächtigen dithyrambischen Rhythmus, der alle bacchische Affekten bis zum Unsinn erregte, kennen wir bloß aus der Ähnlichkeit, daß uns ein leichtes Lessingsches Trinklied unsern Schwur brechen lehrt, und den Becher uns in zitternde Hände gibt. Kurz der Dithyrambe war keine ebräische Hymne, ein Etwas, was sich nach Cicerons Zeugnis, kein Römer nachzuahmen getraute: noch weniger ein deutsches auffahrendes Lob kalter Gegenstände; sondern ein verlornes Familienstück swe griechischen Empfindung. – Das Vaterland jedes andern Odendichters der Griechen scheint seine Ader der Empfindung zu bestimmen: so daß Thebe den Pindar, Sparta den Allkman, Tejos den Anakreon, Lesbos die Sappho zeugte. Diese Bestimmung ist eben so angenehm zu untersuchen, als es nötig ist zu fragen, warum die Sophokles und Euripides, durchaus nicht Shakespears und Racinen sind. – Wenn schon in der Kunst sich die griechische Empfindungsart des Schönen von der unsrigen unterschied: so sollten uns endlich so viele mißgeratene Versuche belehren, daß sie sich in den Gedichtarten noch mehr, und in der Ode am meisten unterscheidet.
   Die Ader der Römer war trockener und kälter. Daß Horaz und Katull ihre einzigen Odendichter waren, ist ein eben so merkwürdiges Phänomen, als daß Seneka bloß ihr tragischer Dichter ward. Bei dem Horaz wird Alcäus Ode oft Hofmoral, und im Catull Anakreons Liedchen oft ein abgemeßner galanter Einfall, wie er einer römischen Schöne, gefallen konnte, die freilich zwischen Anakreons Mädchen und französischen Damen just einen Catull erforderten. – Es ist ein beständiger Widerspruch, die Schönheit einer Ode in die Individualität der Umstände zu setzen, sie auch beständig dem Horaz, und oft wider seinen Willen zuzuschreiben: und ihn doch nachahmen zu wollen. – Auch dieselben Gegenstände sehen wir nicht mit denselben Augen an; und erwarten gewiß nicht bei Oden auf Auguste unsrer Zeiten Horazische Wendungen. Erkennt man aber bei jeder Ode ein antikes Skelett einer Horazischen; so fehlt ungeachtet aller schönen Zusammenpassung eine Seele des schöpfrischen Originals; und wir werden selten mehr als einzelne schöne Gedanken auszeichnen können. „Nimm meine gläserne Augen, die ich von den Römern borgte, da ich meine eigne durch das nächtliche Lesen ihrer Schriften verlor: nimm sie; und Horaz wird dir ein Gott scheinen!“ so mußte ich einem natürlichen deutschen Genie sagen, das den Horaz mit ungestärkten und ungeschwächten Augen las. Hätte dieser Mann den römischen Horaz beurteilen wollen, so hätte er ihm das größte Unrecht getan; aber an die Horaze unserer Zeit hatte er das größte Recht, und auch vielleicht Wahrheit. Wenn also mancher Dichter sein deutsches Bürgerrecht aufopfert, um auf Szenen römisch zu tanzen; so ists zwar ein Unglück, daß wir Deutsche sind, seine Schönheiten nicht zu fühlen, aber auch ein Glück, daß wir keine Römer sind, einen Bastard auszupfeifen. Bei einem gallisierten Mithridat würde kein Pompejaner ausspeien: und Timon von Athen wird ein Engländer um Engländer zu rühren.
   Ohngeachtet der großen Verschiedenheit zwischen den Neuern, die das Feuer und den Herd der Poesie haben wollen: sind sie doch alle Nordliche; entweder ihrem Stamm oder ihren Rassen nach. Diese nordliche Empfindung würde in ihren Gränzen vielleicht sich dem Römischen nähern; die Griechen wohnten ihr aber vielleicht in schiefer Linie, und die Orientalier sind beinahe Antipoden. Nur kann sich freilich die Empfindung unseres Mittelklima’s stufenweise eher in jene verwandeln: und man fragte also nicht bloß: wie weit kann man den Griechen und Römern nachahmen; sondern wie weit darf und soll mans tun; und alsdenn zum Beschluß: warum tut mans denn? – Haben wir gleich selten die entgegengesetzte Empfindung: so können wir doch eine Null, oder eine verschwindende Größe davon fühlen, und die ist nicht odenmäßig. Die Besonderheit der nordlichen Nationen in der Empfindung bestimmt ihre Oden noch näher. Der Italiener ward durch Vermischung der Sieger und besiegten, ein freier Mutloser; ein weicher Liebhaber, der Petrarchs zeigte; Odendichter, die vor unsere härtere Empfindung Metaphysiker der Liebe scheinen. – Der Gallier, dessen Empfindung ein fliegendes Jucken und seine Bewegung ein hüpfender Tanz ist, singt Witz statt Empfindung; und selbst sein schwerfälliger Rousseau hüpfende Oden. Der Britte, blieb beinahe vor den Römern eine Insel; und auch die Oden der Anglobritten sind voll bardischer Züge; denn sie waren Brüder von einem Fleisch. – Die Deutschen behaupten am wenigsten ihren Charakter: das Volk, aus dem Herkules den hyperboreischen Baum, Rom seinen spätesten Lorbeer holte: bemüht sich bald nach der Zeder Libanons, dem Weinstock Griechenlands, dem Lorbeer Roms: statt die Holzäpfel seiner heiligen Wälder zu genießen. Vor die Hebräer zu kalt, die Griechen zu träge, die Römer und Italiener zu steif: hat er ein Gemisch von französischer und brittischer Empfindung und seine Ode also einen mittlern unbestimmten Charakter.

Von der Verschiedenheit der Odengegenstände

Immer ist der Gegenstand der Empfindung sinnlich; indessen stets nach der Bestimmung des Orts und der Empfindung verschieden. Die Oden der Hebräer sind Hymnen; da ihre Augen und Ohr, oder wenigstens ihre Einbildungskraft voll war von Wundern der Götter: von Wundern, die gemeiniglich auf den Wagen der Cherubim, und den Fittigen der Winde fuhren; die Schilderung dieser Gegenstände ist also den Morgenländern so wesentlich, als die Theokratie denen Israeliten entweder den Stoff der Ode, oder doch den Abschwung in der Odenverwirrung ausmachte. Ihren Gesängen war das Geist, was unsern ein toter Buchstab des Gedächtnisses, oder einer veräußerten Phantasie sein muß. Aus einigen näheren Entdeckungen sehen wir, wie schielend wir die Morgenländer ansehen. Und wenn wir nicht mehr Menschen als Bäume ansehen werden: so wird es uns vielleicht einleuchten: wie ihre Überlieferungen von den Affenlarven der Hebraismen zu reinigen sind, nicht bloß in der Schreibart sondern auch dem Tone der Empfindung, um von Abendländern ohne erhabnen Frost behandelt zu werden. Denn jetzt möchte ich beinahe fragen, welches unserer Religionsgedichten die uns eigene Saite ganz und im Original getroffen habe? Ein skaldrischer Barde wird vielleicht die Rebellionen unserer Empfindungen, und die Welt unserer Seele kühner singen, als die Entschlüsse eines fremden Geisterstaats: er wird vielleicht in einzelnen Zügen glücklich, im Ganzen aber fremd sein. Und wo unser ganzes Herz sich finden soll, in geistlichen Liedern, werde ich gewiß von einer kalten Tugend der Menschheit mehr gerührt werden; als mich ein orientalisches taubes Feuer blendet. In seiner Einschränkung ists beinahe offenbar, daß der Herr der Mahanaim und der Schechina; des Opferkreuzes und der flammenden Boten dem Poeten bloß mythologische Geräte sind, die dem Glaubenden allerdings eine andre Beziehung haben können.
   Die Mythologie bleibt ein ordentlich System der poetischen Welt um Griechen und Römer zu verstehen, da sie bei beiden eine große Ausfüllung der Gedichte war. Sie bleibt ein Schatz der Dichtungskraft bei den Erfindern, über den wir erstaunen, wenn der Grund jeder mythologischen Feier im Staube seiner Geburt erscheinen sollte. Die Himmelsstürmerei war vielleicht ein kleiner Sieg des Königes Zevs wider eine Bande großer Räuberknechte: und die göttlichen Herkulestaten, die einen Pindar weckten, Verrichtungen eines kühnen Bauerkerls. Aus diesen Kleinigkeiten eine poetische Welt zu schaffen, wurde gewiß ein griechisches Dichtungsvermögen erfordert: da die Naturreliquien mit ihrer Kunst verglichen, uns ganz erkaltet sind. Ein Hebrus und Skamander, ein Delos und Athen, als Naturstücke sind in unserer Reisenden Augen kaum dieselbe, die sie in den griechischen Dichtern fanden: und da uns also die mythologische Hoheit bloß fremde rührt, da ihr Stab der dichterischen Allmacht vor uns ein Zauberstab ist: warum schwatzen wir vergebens in einem lächerlichen Zauberkreise ihre geweihte Worte ihnen nach, ohne sie zu empfinden. „Die Natur, in Kanaan und Griechenland hat sich verschlimmert!“ so sagt man, wenn man die Gegenstände der alten Päanen mit blöden Augen ansieht; und eben so schob jener harthörigte Alte die Schuld auf seine böse Zeit, wo das Sachtereden Schönheit würde. Möchten uns unsere Wallfahrten nach Griechenland so von unsrer Mythologie heilen, wie die Schweizer ihr Heimweh in den goldnen Gegenden verlieren, wo sie leider! alles tot und erstorben finden. Bewundern müssen wir euch ihr Griechen! die Staub zur göttlichen Höhe erhoben, wovor und schwindelt; wir bringen unsere, an sich weit größere Sachen, bloß in den Staub! so sehr sind wir Poeten. – Die Helden, in denen die Griechen Götter sahen, bemerkten die Römer bloß als Helden, wir nur als Menschen, Bürger, ja oft bloß als Gegenstände des Naturforschens: und da die Mythologie in denen griechischen Oden Vergötterung, in denen lateinischen Heldenruhm ist: so wird sie uns eine Bildergallerie die wir aus unserm Gedächtnis aufregen, um unser Dichtungsvermögen ruhen zu lassen: sie rührt also bloß durch ihre antique Stellung, und ihr μωρόν. – Wer sieht hieraus nicht die Ursache, warum die Poesie stets sinken muß von der goldnen Höhe ihres Ursprunges gerechnet: Je mehr sich die Gegenstände erweitern, die menschlichen Geisteskräfte sich entwickeln desto mehr ersterben die Fähigkeiten der sinnlichen Tierseele. Die Ausbreitung der Wissenschaften verengert die Künste die Ausbildung der Poetik die Poesie; endlich haben wir Regeln, statt poetischer Empfindungen; wir borgen Reste aus den Alten und die Dichtkunst ist tot! – Und kann ich hier nicht laut fragen: wie wenige unserer Gegenstände wir noch bearbeitet haben; immer als wenn wir Griechen oder Römer wären! – Aber der antworte mir bloß, den Regeln und Muster und Vorteile noch nicht aus sich selbst geworfen haben. Das muß schon in uns schlafen, was der Gegenstand aufwecken soll: wenn im Morgenländer der Sohn der Götter, im Griechen der freie Held; im Römer der bürgerliche Soldat – was schläft im Deutschen? – Laßt uns unsre Menschen nach unserm Gesicht malen, ohne poetische Farben aus einem fremden Himmelsstrich zu holen. – Zum mythologischen Roman der Juden, Griechen und Römer, gehören vielleicht als Anhänge, die Riesen der Spanier, Hexen der Italiener, die Drachen der Chineser, Elefanten der Indianer, die Feen der Franzosen und Ritter der Britten. Metamorphosen eines Deutschen sollten nicht Ovidisch sein; so wenig als der Held Homers Aeneas wurde. – Shakespears Schriften und die nordische Edda, der Barden und Skaldrer Gesänge müssen unsere Poesie bestimmen: vielleicht würden wir alsdenn auch Originalstücke von Oden haben, ohne daß sie durch eine antike Stellung sich einen Wert geben dörfen.

Vom mancherlei Rhythmus der Oden

Die Odenart der Hebräer war kurz in ihren Teilen, und gemeiniglich lang im ganzen, und Lowth bemerkt mit vieler Feinheit, daß ihre kleinen öftern Zwischenräume und Gegensätze sich nach der Einfalt ihrer Sprache gerichtet, die in ihren Formen eine große Ähnlichkeit hat. Der Numerus der polymetrischen Strophen war vor ihre Sprache zu abwechselnd, vor ihr Ohr gar zu lang und verstümmelt; und vor ihre Zunge zu gezwungen. Ihre Melodie war also auch einfachprächtig, wie die Heerpauken ihres Donners, und die Schritte des Sturms zwischen den Felsen der Wüste. – –
   Die Schritte des griechischen Odenganges, waren länger in den Teilen, und im ganzen: von den zyklischen Tänzen Pindars an, bis zu den Erlustigungen der Sappho. Ihre Sprache war am meisten polymetrisch, ihr Ohr länger als das unsrige, ihre Zunge biegsamer und ihre Melodie die Zitter. Ihre kühnen Übergänge waren also wesentlich nötig, ihr ganzes Ohr zu füllen, ihre ganze Zunge zu bewegen, jede Saite zu treffen, und jedes Glied zu ihrem geistigen Tanze aufzufordern. Aus gnädiger Erkenntlichkeit gegen die Schönheiten des Pindars sehen unsere Kunstrichter ihm seine Übergänge als einen unverantwortlichen Fehler nach; so hält ein törichter Alter seinem Sohne die Sprünge kaum zu gut, wobei er selbst wahrhaftig den Hals gebrochen hätte. – Von allen vieltrittigen griechischen Strophen wählte Horaz die alcäische und choriambische als die höchsten: selbst diese kürzte er in ihren Teilen ab: nur selten im höchsten Schwunge läuft er wider die Distinktion über: alles Merkmale, daß eine größere Mannichfaltigkeit das Ohr, die Leier und Zunge der Römer verwirrt haben würde. Horaz, ein so großer Liebhaber der Mannichfaltigkeit, daß seine Kunst of durchblickt, durch die Abänderung der Personen, Apostrophen und Prosopopöien, seine Gesänge der griechischen dramatischen Ode zu nähern; warum hat sein prächtigster Odenperiode noch immer eine römische Kürze: warum suchen seine seltnen Strophenübergänge noch so gerne kleine Distinktionen, an die sich Pindars Chöre nicht kehrten; warum ist er im Silbenmaß genauer: weil er vor römische Ohren schrieb, denen kein Strophenübergang Monotonie, und gar zu häufige Verwirrung gemacht hätten.
   Die ehrlichen Versuche alter und neuer Barden zeigen im Gange unsres Silbenmaßes eine Monotonie, die vielleicht in der Sphäre der Deutschen, kein Fehler sondern wirklich ein uns angemeßnes Mittel zu Endzwecken ist. Deutsche, nicht aber hellenisierte Ohren sind hier Schiedsrichter des Wohlklanges, der nicht verhältnismäßig, sondern der deutschen Stärke angemessen sein soll, und ihren Gegenständen. Anstatt im Homer neue Schönheiten zu finden, die etwa dem Dionys aus Halikarnaß noch entwischten; tut der englische Rambler weit besser, die Versifikation seines Miltons festzusetzen: und da unser Ohr den pindarischen Versen nicht in seine Mitte verfolgt, da die Kadenzen unserer Kinder- und Bauerlieder einfältig und einschmeichelnd monotonisch sind: so muß man fragen, wie weit man ihnen nachahmen soll? – Wenn Übersetzungen der Ähnlichkeit zwischen Sprachen in ihren Formen zeigen: so ist unsre Sprache lieber dem Mismar gleicher, und wenn wir diesem seine hitzige Wiederholungen nehmen; wird unsre Ode Lied, dessen Instrument die Pfeife oder Trompete ist. Hier erfordern die Übergänge der kühnsten Figur, ziemlich große Distinktionen, die Silbenmaße werden kurz, der Reim eine Schönheit der Monotonie, die andersher nicht zu erklären ist, und die verschiednen Dialekte der Deutschen fallen meistens weg, da sie schon von den Ebräern bis Römern merklich abstiegen: und sind nicht auch unsre gute lyrische Stücke – ich rede von Gemälden nicht Porträts – entweder im ganzen, oder ihren vornehmsten Zügen Lied.
   Horaz hat die Ode bis auf ihre feinste Wendungen bestimmt? Allerdings; die römische Ode, die ich bloß aus ihm kenne; und vor mich nur; denn warum sollten nicht noch mehr original unter den Römern möglich gewesen sein? Und eben so hat der Ebräer vielleicht den Hymnus, der Grieche die Ode bestimmt, wie er den römischen Gesang; aber die Ode überhaupt? Ich will nicht ein Horaz meiner Zeiten werden; er sei also auch gar nicht mein Muster, das ich ergänzen will. Ich verehre ihn, aber aus Liebe zu meiner Persönlichkeit wünsche ich oft, ihn nicht zu kennen. Ist er das Muster? ich ein Nachahmer? so ist die Wette verloren: Horaz wird ohne Zweifel besser Horaz sein, als ich’s sein kann! –

Erklärung der Ode aus der Empfindung

Der Affekt, der im Anfange stumm, inwendig eingeschlossen, den ganzen Körper erstarrete, und in einem dunkeln Gefühl brausete, durchsteigt allmählich alle kleinen Bewegungen, bis er sich in kennbaren Zeichen predigt. Er rollt durch die Mienen und unartikulierte Töne zu der Vernunft herab, wo er sich erst der Sprache bemächtigt: und auch hier durch die genausten Merkmale der Absteigerung sich endlich in eine Klarheit verliert, die ihm schon sein Selbstgefühl frei läßt. – Wenn die Natur im ganzen dieselbe Ordnung halten muß, die sie im kleinen hält: so kann ich mir nicht eben den Ursprung der Ode, aus den Dankempfindungen eines neugeschaffnen Naturmenschen vorstellen. Sein Gefühl wird vielleicht nicht Dank; und noch weniger Hymne sein; doch dies sei in seinem Wert! –
   Da die Nachahmung der Natur gewiß nicht ursprünglich das Wesen der Dichterei gewesen, wenn es gleich unsrer Poetik ein seichter Grundsatz sein kann, der unsre wenige Originalpoesie, oder den Geschmack an ihr verrät: so ist die erste Ode, das nächste Kind der Natur, gewiß der Empfindung am treusten geblieben. In den ersten Hymnen, Dithyramben, verliebten und Heldenoden besang man meistens sein Gefühl; und hier ist die Aufsuchung dieses subjektiven Fadens eine angenehme Feinheit. In der Folge wurde die Ode mehr objektiv, teils um neu zu sein, teils weil sich das Gefühl verminderte, und durch die Phantasie ersetzt; doch noch stets sang sie einen Individualfall. Immer erweiterten sich die Aussichten allgemeiner: die rührende Ode ward in Pindars Munde eine voll Bewunderung: immer wurden sie kälter, betrachtender, voll Allgemeinörter, und Moralen: wie die feurigsten des Horaz. Unter uns verlor sie fast den Schein der Empfindung, die Einzelnheit des Gegenstandes, und wurde eine moralische Predigt über einen allgemeinen Satz; kaum so feurig, als das kalte Lehrgedicht.
   Übernähme man es, die ältesten wahrhaftig lyrischen Stücke in diesem subjektiven Gesichtspunkt zu zergliedern: so würde sich nicht bloß die Wahrheit ihrer Empfindung im ganzen, sondern auch in ihren feinen Gängen zeigen, und sich der kalte Zwang der Neuern entdecken, die sich in einen fremden Affekt der Alten setzen, und mitten unter heißen Aufrufungen, allgemeine Lehren, Exempel und kalte Übergänge verlieren. Dies ist überhaupt die gewisse Kluft, in die uns unser Weg zu den Empfindungen, den wir über die Metaphysik nehmen, stürzet: wir zirkeln uns kalte Plane nach Regeln ab, um künstlich trunken in ihnen zu kindern. Auf die Naturdichter, folgten Kunstpoeten, und wissenschaftliche Reimer beschließen die Zahl.
   In jeder Ode zeigt sich also ein Faden der Leidenschaft: und so wie man allerdings Schönheit und Vollkommenheit unterscheidet: so ist Pindars Logik der Aristotelischen in gewissem Verstande eben zuwider, und Pindarn eine philosophische Ordnung und Gründlichkeit Schuld geben zu wollen, wird beinahe lächerlich. Die heißeste Leidenschaft und die kälteste Empfindung der Vernunft sind in ihrer Wahrheit und Form so weit verschieden, daß ihr Maß verschwindet: Vernunft und Gefühl bleiben die beiden Ende der Menschheit. Eine deutliche durch Worte bewiesene Empfindung ist eben so ein Unding, als der feurige Gang der Leidenschaft, der abgemessen, wie ein Philosoph gehen soll.
   Die Logik des Affekts – man verzeihe mir diesen anscheinenden Widerspruch – ist die kürzeste und schwerste aller Logiken im Reich der Wirklichkeit und Möglichkeit. In ihm empfindet man die sinnlichgrößte Einheit, ohne sie mit der Übereinstimmung des Verstandes vergleichen zu können; die wahrste Sinnlichkeit, unter der ein Beweis beinahe bis zum Lächerlichen erniedrigt ist: die rührendste Mannichfaltigkeit ohne Kette des Mathematikers.

Die Grade des Odengenies werden aus der Empfindung unterschieden

Bei lebendigen Vorfällen in poetische Wut zu geraten, die in Ode etc. ausfließt: ist das Originalgenie eines Idealpoeten; und bei denen, die ihm vergleichsweise am nächsten kamen: sieht man auch eine Lage von Umständen, oft ex machina gewählt, die ihren Gesang als ein Faden der Ariadne leitet. Der Dichter empfindet und singt, was der Mensch empfand, da er sah und handelte; denn ganz völlig möchte ich beide Empfindungen nicht vor einerlei halten. Ohne über ein Thema zu arbeiten schafft er aus jedem Punkt seines Falls, der ungesalbten Augen oft verschwindet. – Hingegen ists der größte Mangel eines Genies in jeder eigentlichen Dichtart, selbst Anlagen ungebraucht zu lassen. Unsere philosophische Dichter zergliedern mehr, als daß sie die Begriffe ausbreiten. Statt einer Wüste in Eden umzuschaffen: kann man nicht einmal ein blumenreiches Feld nützen. Laßt Genies solche genielose oft sehr vollkommene Stücke lesen: jeder wird jähnen! laßt sie sie ausbessern! – O ausbessern? – Wohl jedes seine wird ihm eigen sein.
   Da das enge Reich der reellen Wesen bei uns durch die Bezauberungen der Einbildungskraft sich sehr erweitert hat: so ersetzt auch die Phantasie sehr oft die wahre Empfindung, bis der Ankerseil bisweilen zum subtilen Spinnengeweb, was durch ein Nadelöhr geht, verlängert wird. Statt im ganzen Strome des Affekts zu schwimmen, steigen wir hinein: dort fühlten wir bloß unser Selbst, hier wird es schon Idealvorstellung: wir kopieren uns selbst schon etwas merklich. – Die Einbildungskraft, deren Gemälde noch mit dem Affekt der Natur gränzen, ist die stärkste, und beste; je näher ihre Bilder an einen Affekt der Einbildungskraft reichen; desto stärker und fehlerhafter wird sie in der Poesie. Petrarch und die Italiener mögen sich selbst Affekt schildern; uns schildern sie Phantasie. Roußeaus platonische Liebhaber schreiben die Sprache der Leidenschaft? Selten, denn sie sollten die Sprache eine phantastischen Affekts schreiben; und der spielt oft mit Wortspielen, wie Kinder mit Kreiseln. – Vielleicht ist indessen unter uns nur ein lyrischer Dichter von einer Höhe, die zwischen Affekt, und leerer Einbildung schwankt.
   Die meisten Odendichter zeigen sich als Sänger, deren höchster Zweck ist, eine fremde Natur nachzuahmen. Sie schwimmen nicht: sie stehen am Fluß und betrachten. Hier verschwindet der Zauberer, der sich selbst in eine Gedankenwelt setzte: die Circe, die uns bezaubert, und selbst Circe blieb; einen Künstler sehen wir, der Stückwerke einer Welt nachäffet. Er heißt Schöpfer, weil er Geschöpfe macht, vom Herkules an, bis zum egyptischen Ungeziefer regelmäßig; idealschön; aber – aber – tot! – Hier ordne der Leser, die Dichter: wie weit sie Schöpfer, Zauberer, Künstler, Handwerker sind; in Engelland gehören Shakespears Monologen vielleicht in das erste; einige Oden in Dodslei Sammlung ins zweite: Pope ins dritte; unzähliche ins vierte Fach: aber in Deutschland? Hier wo beinahe der Schatte des Odendichters, der aesthetische Denker, übrig ist. – Diese vier Gattungen der Dichtkunst sind die Alter der Menschheit: das erste empfindet; das zweite denkt mechanisch; das dritte erfindet, das vierte denkt durch Freiheit. Wären Oden der Natur in allen vier Lebensstufen möglich: so würde man ihnen den Rosenkranz der Jugend so gut, als die weiße Salbung grauer Haare ansehen können. Sollte jemand so ein Poet gebildet werden, wie Roußeau einen Menschen bilden wollte, so würden seine Jahre der Entzückung, Oden; die Periode, da sein Affekt Rührung ist [Dramas]; sein Leben der Ergetzung, Epopeen; und sein Alter der Betrachtung Lehrgedichte hervorbringen; ich nehme hier aber den Dichter und seine Gedichte im Verstande der Natur, und wer weiß, wie wenig er mit unserm Stande der Kunst gemein hätte. In unserer Zeit des Chaos sind Knaben zuerst Lehrdichter; so wie es stets leichter ist, aus ihnen Philosophen, als Menschen zu machen: Jünglinge machen Dramas, denn sie wollen bekannt werden: Männer von 40 Jahren, die jetzt erst mit Daphnens tändeln müssen, machen anakreontische Empfindungsoden; und Greise, die da ausrufen: Es ist alles eitel! Epopeen. – Vielleicht irre ich mich nicht, daß derselbe Schöpfersgeist, der den Jüngling zu Oden entzückt, den Menschen zu glühenden Drama’s begeistre, den Mann zu leuchtenden popeen beseele, und den Greis zu hellen Lehren über die Menschheit erheitre; – vielleicht in allen eine Handlung und Gang des Affekts, der sich wie Seele und Leib durch die Stufen der Menschheit entwickelt; und eben hiermit auch schwächet. Lebe zuerst, denn empfinde, denn handle, endlich denke und stirb! Dies ist die Leiter der Menschheit und seines subjektiven poetischen Talents; vielleicht wird man hieraus auch die Zwecke der Dichtkunst aufsteigern, ohne zwischen Nutzen und Vergnügen schwanken zu dörfen. Des eigentlichen Dichters Trieb ist Wut; seine Worte Pfeile; sein Ziel das ganze Herz; dies ist das göttliche Unaussprechliche der Dichtkunst. Gemildert ist sein Zweck Rührung; und sein Trieb Aufweckung – Noch mehr geschwächt heißt sein Stachel Vergnügen; und seine Absicht, die Neigung zu gefallen. Die entfernteste uneigentliche Triebfeder ist Grundsatz, und sein Endzweck Nutzen; der selbst im Lehren, Trösten, noch bloß ein entferntes Mittel bleibt. –

Vergleichungen der Ode unter sich

Die Ode druckt den Affekt entweder an sich gleichsam im Gemälde, oder in Handlung aus. In jenem macht Gegenstand und Empfindung eine Art von Einheit aus, zu der nur die mancherlei Züge des Affekts eine Mannichfaltigkeit dazu macht, die dennoch nur immer eine Seite zeigen können. Mehr gemäßigt wird diese Ode des Affekts, ein Gemälde der Einbildungskraft, das ohngeachtet seines großen Originalzuges sehr vielen Mißbräuchen unterworfen sein kann. Sonst aber ist diese Dichtart der Natur am nächsten, die originalste, und der Grund der übrigen.
   Die Oden, die den Affekt nicht zur Quelle; sondern zum Muster haben, sind kälter und künstlicher, als die ersten: sie haben Plan und Ordnung, und sind die Oden der Handlung. Entweder steigt die leidenschaft in ihnen vom niedrigen Keim bis zur größten Höhe, eine Saite nach der anderen trifft sie, und bricht sie endlich plötzlich ab. Oder sie schwingt sich auf, wirbelt sich oben, und läßt sich wieder herunter: sie regte den Ozean des Herzens auf, fuhr im Triumph Neptuns auf seinen Wellen, und besänftigte sein Brausen: oder sie fängt in der größten Hitze an , und sinkt herunter: sie fliegt, wie die Schwalbe, mit der sie Marriot vergleicht:
          the swallow sweeps the plains
          Or lightly skims from level lakes the dew.
Die mittlere erhebt und stürzt sich wie der Adler mächtig herunter. Die erste ist die dem Horaz gewöhnlichste. – – Handlung der Ode ist das, worin uns selbst Winkelmanns allegorischer Parrhasius nicht erreicht; und wir die Alten kaum erreichen. Ihr Standpunkt war in jeder Ode genau bestimmt, und die Mannichfaltigkeit der Ode erhob denselben in einem immer stärkern Lichte. Welche Handlung hatte nicht der pythische Nomos der Griechen. Jetzt sieht im Anfangsversuch Apoll sich nach seinem Streitfelde um; jetzt ruft er kühn den Drachen hervor; jetzt singen Jamben den Heldenkampf und die Zähneknirschende Wut des Drachen. Apoll hat gesiegt; denn das Lied geht spondäisch im tritt des Siegers; er schlingt sich an ihren Tanz und alle Lebhaftigkeit des Liedes vereinet sich. Eben so waren die pyrrichischen Tänze gewaffneter Spartaner, zärtliche Lieder nackter Mädchen, die den Hymnen besangen, durch individuelle Handlung belebt: und überhaupt wählten die Alten den perspektivischen Standpunkt besser: ihre Dichtungskraft brachte mehr Handlung in die Ode, und doch füllte stets die sinnliche Einfalt die ganze Seele. Die meisten neuern Oden sind entweder völlig ohne Handlung und einförmig; oder man verbirgt die ungereimteste Ausschweifung mit dem Namen der Odenunordnung; ein Wort, das die größten Schwätzer am wenigsten verstehen, und kein Odendichter vom Aesthetiker lernen wird. Der letzte sieht sie gemeiniglich bloß in der Ausschweifung, und der erste empfindet sie mehr im Feuer, als daß er sie kalt ausdrucken könnte. – Die Ode des Affekts ist Monologe; die Ode der Handlung wird selbst ein kleines Drama, so wie das Drama der Kern der Epopee sein möchte. Wenn man die Epopee als die höchste Dichtart verehret: so hat man allerdings recht, wenn die Bewunderung der erhabenste Affekt ist: allein sollte die Stärke und Hitze des Affekts der Maßstab werden, so ist schon der theatralische höher: und überhaupt kann man es geradezu leugnen, daß die Epopee unsere ganze Seele bewegen kann: ihre Zeit ist kurz, ihre Handlung durch Reden und Episoden zu unterbrochen: ihre Affekten zu sehr betrachtend. Das Drama rührt wegen aller dieser Ursachen noch mehr; allein mit dem Odenfeuer in seiner Natur verglichen, verlierts unendlich.
   Die Ode der Natur, die nicht Nachahmung ist, ist ein lebendiges Geschöpf, nicht eine Statüe, noch ein leeres Gemälde. Bloße Worte sind Zeichen der Gedanken, und nie des Affekts: höchstens zeichnen sie die entferntesten Folgen, der aufgeregten Leidenschaft: eine empörte Einbildungskraft, und Gesichtspunkte, in denen der Verstand die Empfindung betrachtet. Eine Ode also erdichten, sie bloß lesen zu lassen; setzt diese Regeln zum voraus: Setzte dich nicht in Empfindung, der dem Affekt gränzt: sonst wirst du wortarm, verworren, dunkel, dem kalten Leser lächerlich, und dem eigensinnigen Kunstrichter abenteuerlich scheinen. Verleugne aber dich selbst so viel als möglich; setzte dich aus dir, an die Stelle eines Lesers, um dessen Beifall du buhlest, zeichne die gewählte Sache, wie er, oder du sie empfinden würdest, wenn du läsest: – Unsere Oden sind also perspektivisch gezeichnete Gemälde des Affekts , die freilich – – Aber ein rasender Mensch der Natur? Was Diderot in sein Theater so zerstreut, so entkräftet anbringen kann: und doch schon rühren will; das muß hier ohne Zweifel in seinen Kern konzentriert völlig rühren! – Der Odendichter im Parenthyrsus seiner Affektbegeisterung tönt wenige Worte, und diese ganz mit ihren Naturakzenten, die sich den unartikulierten bloß im stärksten Feuer nähern, er tanzt nicht pantomimisch, sondern spricht durch einfältige Geberden. Einfache musikalische Harmoniengänge; – denn das sind die Melodien der Naturoden, – lassen sich zu seinen Affektakzenten herab, und erhöhen sie; freie Stellungen, die nicht Theatergemälde sind, erhöhen seine Geberden; und eine einfache Poesie, die nicht phantastische sondern wirkliche Empfindung so genau ausdruckt, daß kaum ein Schein der Nachahmung bleibt; kurz: drei Künste in allen Abmessungen der Schönheit, Tanz und Musik und Poesie bestürmen uns, mit der Stärke der Oper (der sie aber das Künstliche der Erzählung und des Witzes lassen), sie bestürmen uns mit der ganzen Natur, und machen rasend. Die Ode ist hier die heftigste Jugend der Dichtkunst, deren Leben und Kraft wir aus Handlung abmessen: so wie der Pantomime, der am wenigsten Tänzer ist, uns am meisten beschäftigt; wie ein Komet in seiner Eccentricität. Dieses freche Feuer des Parenthyrsus ist das schöpfrische Genie. Der Theaterheld mäßigt schon seine Franchezza, wie der Maler die Stellungen des Tänzers schon auswählt: und den Helden der Epopee, nicht aber der Ode, geziemt jene stille Größe, die in den Statuen der Alten rührt, und die der Mensch der Vernunft beweiset. Das erste Genie ist also ganz Gefühl im Verfertigen und Beurteilen, das mittlere Gefühl vom Geschmack, und das dritte Gefühl von Wissenschaft geleitet; in den beiden letzten wird das Dichtungsvermögen von Zwecken, in der Ode vom sinnlichen Affekt und der trunknen Einbildungskraft geführt. – –
   Und hier kann man die Alten und Neuern vergleichen, ohne über den Grundsatz der Nachahmung zu richten. Tyrtäus singt: um ihn klingen spartanische Waffen; Fahnen fliegen um ihn: der Befehl des Apolls in seinen Ohren, das Bürgerrecht Sparta’s sein Zweck: vor ihm wütende Messenier, hinter ihm Spartaner, noch in den Narben der Feigheit Helden; – Tyrtäus singt – Kriegslieder – die mehr als Armeen überwanden; denn sie waren Affekt, Handlung, und Leben. Wer singt dir nach Tyrtäus! Kaum ein Barde, stark wie du, vor dreifach starke Spartaner; aber zum Unglück in einer anderen Zeit.

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