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Autor: Friedrich von Schiller
Werk: Kassandra
Jahr: 1802
Gedichtform: Ballade
Freude war in Trojas Hallen,
Eh die hohe Feste fiel;
Jubelhymnen hört man schallen
In der Saiten goldnes Spiel;
Alle Hände ruhen müde
Von dem thränenvollen Streit,
Weil der herrliche Pelide
Priams schöne Tochter freit.
Und geschmückt mit Lorberreisern,
Festlich wallet Schaar auf Schaar
Nach der Götter heil’gen Häusern,
Zu des Thymbriers Altar.
Dumpf erbrausend durch die Gassen
Wälzt sich die bacchant’sche Lust,
Und in ihrem Schmerz verlassen
War nur eine traur’ge Brust.
Freudlos in der Freude Fülle,
Ungesellig und allein,
Wandelte Kassandra stille
In Apollos Lorbeerhain.
In des Waldes tiefste Gründe
Flüchtete die Seherin,
Und sie warf die Priesterbinde
Zu der Erde zürnend hin:
Alles ist der Freude offen,
Alle Herzen sind beglückt,
Und die alten Eltern hoffen,
Und die Schwester steht geschmückt.
Ich allein muß einsam trauern,
Denn mich flieht der süße Wahn,
Und geflügelt diesen Mauern
Seh‘ ich das Verderben an.
Eine Fackel seh‘ ich glühen,
Aber nicht in Hymens Hand;
Nach den Wolken seh‘ ich ziehen,
Aber nicht wie Opferbrand.
Feste seh‘ ich froh bereiten,
Doch im ahnungsvollen Geist
Hör‘ ich schon des Gottes Schreiten,
Der sie jammervoll zerreißt.
Und sie schelten meine Klagen,
Und sie höhnen meinen Schmerz.
Einsam in die Wüste tragen
Muß ich mein gequältes Herz,
Von den Glücklichen gemieden
Und den Fröhlichen ein Spott!
Schweres hast du mir beschieden,
Pythischer, du arger Gott!
Dein Orakel zu verkünden,
Warum warfest du mich hin
In die Stadt der ewig Blinden
Mit dem aufgeschloßnen Sinn?
Warum gabst du mir zu sehen,
Was ich doch nicht wenden kann?
Das Verhängte muß geschehen,
Das Gefürchtete muß nahn.
Frommt’s, den Schleier aufzuheben,
Wo das nahe Schreckniß droht?
Nur der Irrthum ist das Leben,
Und das Wissen ist der Tod.
Nimm, o nimm die traur’ge Klarheit,
Mir vom Aug den blut’gen Schein!
Schrecklich ist es, deiner Wahrheit
Sterbliches Gefäß zu sein.
Meine Blindheit gib mir wieder
Und den fröhlich dunklen Sinn!
Nimmer sang ich freud’ge Lieder,
Seit ich deine Stimme bin.
Zukunft hast du mir gegeben,
Doch du nahmst den Augenblick,
Nahmst der Stunde fröhlich Leben –
Nimm dein falsch Geschenk zurück!
Nimmer mit dem Schmuck der Bräute,
Kränzt‘ ich mir das duft’ge Haar,
Seit ich deinem Dienst mich weihte
An dem traurigen Altar.
Meine Jugend war nur Weinen,
Und ich kannte nur den Schmerz,
Jede herbe Noth der Meinen
Schlug an mein empfindend Herz.
Fröhlich seh‘ ich die Gespielen,
Alles um mich lebt und liebt
In der Jugend Lustgefühlen,
Mir nur ist das Herz getrübt.
Mir erscheint der Lenz vergebens,
Der die Erde festlich schmückt;
Wer erfreute sich des Lebens,
Der in seine Tiefen blickt!
Selig preis‘ ich Polyxenen
In des Herzens trunknem Wahn,
Denn den Besten der Hellenen
Hofft sie bräutlich zu umfahn.
Stolz ist ihre Brust gehoben,
Ihre Wonne faßt sie kaum,
Nicht euch, Himmlische dort oben,
Neidet sie in ihrem Traum.
Und auch ich hab‘ ihn gesehen,
Den das Herz verlangend wählt!
Seine schönen Blicke flehen,
Von der Liebe Gluth beseelt.
Gerne möcht‘ ich mit dem Gatten
In die heim’sche Wohnung ziehn;
Doch es tritt ein styg’scher Schatten
Nächtlich zwischen mich und ihn.
Ihre bleichen Larven alle
Sendet mir Proserpina;
Wo ich wandre, wo ich walle,
Stehen mir die Geister da.
In der Jugend frohe Spiele
Drängen sie sich grausend ein,
Ein entsetzliches Gewühle!
Nimmer kann ich fröhlich sein.
Und den Mordstahl seh‘ ich blinken
Und das Mörderauge glühn;
Nicht zur Rechten, nicht zur Linken
Kann ich vor dem Schreckniß fliehn;
Nicht die Blicke darf ich wenden,
Wissend, schauend, unverwandt
Muß ich mein Geschick vollenden
Fallend in dem fremden Land –
Und noch hallen ihre Worte –
Horch! da dringt verworrner Ton
Fernher aus des Tempels Pforte,
Todt lag Thetis‘ großer Sohn!
Eris schüttelt ihre Schlangen,
Alle Götter fliehn davon,
Und des Donners Wolken hangen
Schwer herab auf Ilion.