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Autor: Friedrich Gottlieb Klopstock
Werk: Der Abschied
Jahr: 1748
Gedichtform: Ode
Wenn du entschlafend über dir sehen wirst
Den stillen Eingang zu den Unsterblichen,
Und aufgethan die erdeferne
Pforte des Himmels, enthüllt den Schauplaz
Der Ewigkeit! dann nahe dir hören wirst
Die Donnerrede deß, der Entscheidung dir
Kund thut; so feyrlich spricht die Gottheit,
Wenn sie das Urtheil der Tugend ausspricht;
Wenn du dann lächelnd näher dir hören wirst
Die Stimme Salems, welcher dein Engel war,
Und, mit des Seraphs sanftem Laute,
Deines entschlafenen Freundes Stimme:
Dann werd‘ ich vor dir lange gestorben seyn.
Den letzten Abend sprach ich, und lehnte mich
An deines Bruders Brust, und weinend
Senkt‘ ich die Hand ihm in seine Hand hin:
»Mein Schmidt, ich sterbe, sehe nun bald um mich
Die großen Seelen, Popen und Addison,
Den Sänger Adams neben Adam,
Neben ihm Eva mit Palmenkränzen,
Der Schläfe Miltons heilig; die himlische,
Die fromme Singer, bey ihr die Radikin,
Und, durch deß Tod mich Staunen traf, daß
Traurigkeit auch, und nicht Freud‘ allein sey
Auf Erden! meinen Bruder, der blühte, schnell
Abfiel! Bald tret‘ ich in die Versamlungen,
Hin ins Getön, ins Halleluja,
In die Gesänge der hohen Engel.
Heil mir! mein Herz glüht, feurig und ungestüm
Bebt mir die Freude durch mein Gebein dahin!
Heil mir! die ewig junge Seele
Fließet von Göttergedanken über.
Schon halb gestorben, lebet von neuem mir
Der müde Leib auf; so werd‘ ich auferstehn,
Der süße Schauer wird mich fassen,
Wenn ich mit dir von dem Tod‘ erwache.
Wie mir es sanft schlägt! leg‘ an mein Herz dich, Freund!
Ich lebt‘, und daß ich lebte, bereu‘ ich nicht,
Ich lebte dir, und unsern Freunden,
Aber auch ihm, der nun bald mich richtet!
Ich hör‘, ich höre fern schon der Wage Klang,
Nah ihr der Gottheit Stimme, die Richterin;
O wäre sie der bessern Thaten
Schale so schwer, daß sie überwöge!
Ich sang den Menschen menschlich den Ewigen,
Den Mittler Gottes. Unten am Throne liegt
Mein großer Lohn mir, eine goldne,
Heilige Schale voll Christenthränen.
Ach, schöne Stunden! traurige schöne Zeit,
Mir immer heilig, die ich mit dir gelebt!
Die erste floß uns frey und lächelnd,
Jugendlich hin, doch die letzte weint‘ ich!
Mehr, als mein Blick sagt, hat dich mein Herz geliebt,
Mehr, als es seufzet, hat dich mein Herz geliebt;
Laß ab vom Weinen; sonst vergeh‘ ich:
Auf, sey ein Mann! geh‘, und liebe Rothen!
Mein Leben sollte hier noch nicht himlisch seyn,
Drum liebte die mich, die ich so liebte, nicht.
Geh, Zeuge meines Trauerlebens,
Geh, wenn ich todt bin, zu deiner Schwester,
Erzähl, nicht jene mir unvergeßlichen
Durchweinten Stunden, nicht, wie ein trüber Tag,
Wie Wetter, die sich langsam fortziehn,
Mein nun vollendetes kurzes Leben;
Nicht jene Schwermuth, die ich an deiner Brust
Verstummend weinte; Heil dir, mein theurer Freund!
Weil du mit allen meinen Thränen
Mitleid gehabt, und mit mir geweint hast!
Vielleicht ein Mädchen, welches auch edel ist,
Wird, meiner Lieder Hörerin, um sich her
Die Edlen ihrer Zeit betrachten,
Und mit der Stimme der Wehmut sagen:
O lebte der noch, welchem so tief das Herz
Der Liebe Macht traf! Die wird dich segnen, Freund!
Weil du mit meinen vielen Thränen
Mitleid gehabt, und mit mir geweint hast!
Geh, wenn ich todt bin, lächelnd, so wie ich starb,
Zu deiner Schwester; schweige vom Traurenden;
Sag ihr, daß sterbend ich von ihr noch
Also gesprochen, mit heitrem Blicke;
Des Herzens Sprache, wenn sie mein todter Blick
Noch reden kann, ach sag‘ ihr: Wie liebt‘ ich dich!
Wie ist mein unbemerktes Leben,
Dir nur geheiligt, dahingegangen!
Des besten Bruders Schwester! Nim, Göttliche,
Den Abschiedssegen, welchen dein Freund dir giebt;
Gelebt hat keiner, der dich also
Segnete, keiner wird so dich segnen.
Womit der lohnet, welcher die Unschuld kennt,
Von aller hohen himlischen Seligkeit,
Von jener Ruh der frommen Tugend,
Fließe dein göttliches Herz dir über!
Du müssest weinen Thränen der Menschlichkeit,
Viel theure Thränen, wenn du die Dulder siehst,
Die vor dir leiden, durch dich müsse
Deinen Gespielinnen sichtbar werden
Die heilge Tugend, Gottes erhabenste,
Hier nicht erkannte Schöpfung, und selige,
Von ihrem Jubel volle Freuden
Müssen dein jugendlich Haupt umschweben,
Dir schon bereitet, da du aus Gottes Hand
Mit deinem Lächeln heiter gebildet kamst;
Schon da gab dir, den du nicht kanntest,
Heitere Freuden, mir aber Thränen!
O schöne Seele, die ich mit diesem Ernst
So innig liebte! Aber in Thränen auch
Verehr‘ ich ihn, das schönste Wesen,
Schöner als Engel ihn denken können.
Wenn hingeworfen vor den Unendlichen
Und tief anbetend ich an des Thrones Fuß
Die Arme weit ausbreite, für dich
Hier unempfundne Gebete stammle:
Dann müss‘ ein Schauer von dem Unendlichen,
Ein sanftes Beben derer, die Gott nun sehn,
Ein süßer Schauer jenes Lebens
Über dich kommen, und dir die Seele
Ganz überströmen. Ober dich müssest du
Erstaunend stehn, und lächelnd gen Himmel schaun!
Ach, dann kom bald im weißen Kleide,
Wallend im lieblichen Strahl der Heitre!
Ich sprach’s; und sah noch einmal ihr Bildniß an,
Und starb. Er sah das Auge des Sterbenden,
Und klagt‘ ihr nicht, weil er sie liebet,
Daß ihm zu früh sein Geliebter hinstarb.
Wenn ich vor dir so werde gestorben seyn,
O meine Fanny, und du auch sterben willst;
Wie wirst du deines todten Freundes
Dich in der ernsteren Stund‘ erinnern?
Wie wirst von ihm du denken, der edel war,
So ganz dich liebte? wie von den traurigen,
Trostlos durchweinten Mitternächten?
Von der Erschütterung seiner Seele?
Von jener Wehmuth, wenn nun der Jüngling oft,
Dir kaum bemerket, zitternd dein Auge bat,
Und schweigend, nicht zu stolz, dir vorhielt,
Daß die Natur ihn für dich geschaffen?
Ach dann! wie wirst du denken, wenn schnell dein Blick
Und ernst ins Leben hinter dem Rücken schaut?
Das schwör‘ ich dir, dir ward ein großes,
Göttliches Herz, und das mehr verlangte.
Stirb sanft! o, die ich mit unaussprechlicher
Empfindung liebte! Schlummr‘ in die Ewigkeit
Mit Ruh hinüber, wie dich Gott schuf,
Als er dich machte voll schöner Unschuld.